Der Content und sein Henker

Verzweifelte Frau am Laptop: Schreibblockade

Ich muss euch was sagen: Ich kann nicht schreiben!

Ja, ich weiß, dass es komisch klingt. Ich blogge seit 10 Jahren und habe ein Buch veröffentlicht.
Und doch ist es irgendwie wahr: Früher flutschten mir die Blogartikel einfach aus dem Ärmel. Ich habe etwas gehört, gesehen oder gerochen, habe eine Geschichte drumherum gebastelt und aufgeschrieben – und es hat funktioniert. Meine Artikel wurden gelesen. Meine Artikel wurden empfohlen.

Heute breche ich mir einen ab. Und das fängt schon vor dem Schreiben an.

Ist das überhaupt relevant?

Das Schreiben fiel mir früher leichter, weil ich mir diese Frage nie gestellt habe. Es war mir egal, ob schon 2812 Rezepte zu simplen Rühreiern im Netz zu finden waren. Für mich ist mein morgendliches Rührei relevant.

Und heute denke ich über die meisten meiner Artikelideen: »Relevant? Hahahaha. Ne.« Auf meine bescheidenen Tipps und Tricks, Tutorials und Erkenntnisse hat das Universum nicht gewartet. Alles, was ich zu sagen habe, weiß eh schon jeder. Also klemme ich mir das Schreiben.

Die Frage nach der Relevanz ist ein Riesenthema für mich. Natürlich gibt es schon alles im Internet. Tausendfach. Aber wenn es danach ginge, dürfte niemand mehr etwas »Neues« schreiben, oder?

Relevanter Content

»Jo. Mach wie du du Lust hast. Wirst sehen, was du davon hast«
– Google

Was relevant ist und was nicht, entscheiden ja die Nutzer der Suchmaschinen. Wenn nach dem Thema gesucht wird, über das ich schreibe oder geschrieben habe, ist es nicht mehr nur für mich relevant – und ich bin aus dem Schneider. Whoooo, dann habe ich relevanten Content geschrieben! Reicht mir das Krönchen, Fußvolk!
Wenn nicht danach gesucht wird, habe ich eben Pech gehabt. Seite 52 auf Google. Irrelevant. Tja, verdammte Axt 2000, dann kann ich die Schaufel aus dem Keller holen und mir mein Grab schaufeln.

Manche Menschen informieren sich vorher über Trendic Topics auf Google. Nicht dumm, aber trotzdem nichts für mich. Ich möchte lieber Artikel zu den Themen schreiben, die mich aktuell beschäftigen und von denen ich denke, dass ich sie der Welt unbedingt jetzt sofort aufs Auge drücken muss, weil ich sonst platze oder so. Von den Themen, die von der googelnden Menschheit gesucht werden, hab ich ja vielleicht auch keine Ahnung oder zu wenig Muße mich in die Materie einzulesen.

Qualitativer Content

»Na gut. Dann schreibe wenigstens qualitativ hochwertigen Content!«
– Auch Google

Würden meine Artikel von einem talentierten Mitarbeiter persönlich durchgelesen und mit Klebesternchen für Fehlerfreiheit, Individualität und Mehrwert versehen werden, würde ich das Märchen vom guten Content glauben. Solange mir die Technik aber sagt, was ich wie schreiben soll, fühle ich mich gemaßregelt und eingeschüchtert.

– »Ist doch gar nicht schwer! Überschrift mit Keyword, erster Absatz mit Keyword, Keyword in Unter-Überschrift, Keyword in Artikelbildbeschreibung, mindestens 300 Worte, aber keine langen Absätze, Absätze mit noch mehr Unter-Überschriften trennen, das Keyword fett schreiben, toller Flesch-Wert und bla. Achso: Und verlink bloß nicht auf Artikel, die ähnliches schreiben und womöglich für das gleiche Keyword optimiert wurden, ne?! Und sieh‘ bloß zu, dass der Artikel dann fleißig geteilt wird.«
– »Entschuldigung, was? Das zerschießt mir doch das ganze Design und sieht kacke aus – und vor Allem: Wer soll das lesen (können)?«
– »Tja. Willst du nun einen gut rankenden Artikel oder nicht?«

Ich sag euch was: Ich nutze das meistgenutzte SEO-Plugin nicht mehr. Ich habe keine Ahnung, wie der Flesch-Wert dieses Artikels ist – und wenn ich ehrlich bin, ist es mir auch egal. Ich möchte wieder schreiben, wie ich es einst tat. Verdammte Axt2000, ich möchte mich nicht (mehr) beeinflussen lassen von einem kleinen Balken, der mir zeigt, dass ich nur noch ein Kackwort davon entfernt bin, einen mieserablen Lesbarkeitswert zu haben.
Ich möchte keine Wörter mehr streichen oder hinzufügen, damit Google mich mag. Ich möchte so viele Synonyme meiner Keywords nutzen, wie ich lustig bin. Sie bedeuten alle das Gleiche – und jeder Mensch weiß das. Nur das SEO-Plugin meckert, dass ich meine Artikel nicht ordentlich optimiert habe.

Aber wisst ihr was: Wenn ich es tue, dann kann ich nicht schreiben. Und ich will schreiben. Und zwar so, wie ich will.

 

Mehr davon?

Ein Kommentar

  1. Hallo Heidi,

    ich bin heute durch einen Tweet auf diesen Artikel aufmerksam geworden und muss sagen, du sprichst mir aus der Seele.

    Die Frage ist doch, wie kann man sich selbst treu bleiben, wenn man sich fremdsteuern lässt. Ich habe meinen Blog im August gestartet und bin noch dabei mich zu orientieren. Was dabei immer wieder zum Hindernis wird, ist die Suche nach der perfekten Headl…, äh, Überschrift, der perfekten Einleitung, … Das Problem: ich bin Feuer und Flammen, wenn ich die Artikel schreibe und prompt unzufrieden, wenn der Artikel veröffentlicht ist.

    Quizfrage: „Merken dass die LeserInnen?“ Ja, natürlich.

    Also, einfach mal wieder schreiben. Für die LeserInnen und dich.

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