Ich bin nicht schüchtern. Ich kann auf Menschen zugehen. Ich kann reden. Ich kann kommunizieren. Ich kann auch ganz gut den Larry machen.
Wenn ich von der Logophobie erzähle, beginne ich immer mit einer kurzen Erklärung, was diese Phobie eigentlich bedeutet: Redeangst. Klingt auf Deutsch nicht schöner, aber man kann sich zumindest grob etwas darunter vorstellen. Weiß man doch sonst nicht.
Arachnophobie. Ja, das kennt man! Die Angst vor Spinnen. Spinnen sind aber auch wirklich ekelig. Man kann sogar ein bisschen mitfühlen oder verstehen.
Klaustrophobie. Die Angst vor engen Räumen. Haben wir alle schon gehört. Und spätestens wenn man sich vorstellt, in einem geschlossenen Sarg liegen zu müssen, setzt das Verständnis ein.
Phobien unter sich
Aber Logophobie? Die Angst vor dem Sprechen?
Und setzt eine Phobie bitte nicht mit einer gesunden Angst gleich. Es ist panische Angst. Todesangst.
Es gibt dann die Menschen, die mich anschauen und darauf warten, dass ich in ihr Gelächter einstimme. »Du? Angst vorm Sprechen? Hahahaha… geiler Witz! Kannste deiner Oma erzählen!«. Ich sagte ja bereits: Ich bin nicht schüchtern und ich kann reden. Nichts erscheint abwegiger, als dass ich unter Logophobie leide.
Dann gibt es Menschen, die es mit Lampenfieber gleichsetzen. »Aaaaach. Das ist ganz normal, dass man ein bisschen aufgeregt ist, wenn man vor einer Gruppe reden muss! Mir schlottern dann auch immer die Knie!«.
Komisch, dass aber niemand auf die Idee kommen würde, einem Klaustrophobiker zu sagen »Aaaaach. Das ist ganz normal. Ich bekomme auch schlechter Luft, wenn ich mit vielen Menschen im Fahrstuhl fahre. Ist ja klar, die atmen mir ja alle den Sauerstoff weg!«.
Ich fühle mich nicht ernst genommen. Auf der anderen Seite habe ich auch keine Lust darüber zu diskutieren. Und mal unter uns: Warum sollen sich Menschen mit Logophobie sich beweisen?
Es würde doch auch niemand auf die Idee kommen, einem Arachnophobiker zu sagen: »Komm, wir spielen Dschungelcamp! Zufällig kenne ich eine dunkle Grube, in der sich tausende von Spinnenvölkern in 3 Generationen befinden.«.
Angst als solche ist ja ein Instinkt und (über)lebenswichtig: Als Reaktion auf eine unbekannte Situation, Bedrohung oder Gefahr beschleunigt die Angst unseren Herzschlag und die Atmung. Unser Körper bereitet sich auf eine schnelle Reaktion vor. Nachvollziehbar. Legitim.
Phobien sind aber mehr als nur Angst. Sie sind eine psychische Störung.
Meine Logophobie
Bis vor etwa 2 Jahren habe ich selbst viele Seminare und Schulungen gegeben. Vor vielen Menschen. In Kostüm und hohen Schühchen. Ohne Probleme. Reibungslos. Applaus, Applaus.
Und plötzlich war sie da. Die Angst, die mir die Sprache verschlug. Immer dann, wenn ich im Mittelpunkt stand. Die typische All-Eyes-On-Me-Situation. Mein Herz raste und ich atmete, als sei ich einen Marathon gelaufen.
Ich bin ja eher der logische Kopf: Es gibt keinen Grund Angst zu haben. Immerhin bewege ich mich unter erwachsenen Personen. Egal was ich tue, es wird nichts passieren. Ich muss ja immerhin auch kein Plädoyer für mein Leben halten. Ich werde nicht gesteinigt, wenn ich mich räuspere, mich verspreche oder nach einem Wort suche. Eigentlich ist also alles gut. Aber nur eigentlich.
Ich trage ein Sportarmband. Aber nicht wegen des Sports. Mich interessiert einfach meine Anzahl an Schritten, mein Schlafrhythmus und – tadadadaaaaa – mein Herzschlag. Eigentlich leide ich nämlich auch noch unter einer Bradykardie. Das ist ein verlangsamter Herzschlag. Ich habe einen Ruhepuls von 45-50, des Nachts geht er noch einen Ticken weiter runter. An dieser Stelle kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass ich während des Schlafens absolut tiefenentspannt bin.
Das absolute Gegenteil passiert, wenn ich auch nur erahne, dass mir das Sprechen vor einer Menschengruppe bevorsteht: Mein Herzschlag baut sich auf bis zu 180 Schläge / Minute auf. Höchstleistungspuls. Die Kardiozone überspringe ich quasi.
Die Angst nimmt Besitz von mir
Im Dezember musste ich eine Präsentation halten.
Ich war gut vorbereitet. Ich habe von vorne bis hinten alles ordentlich recherchiert, zusammengetragen, optisch ansprechend gestaltet. Den Zeitplan würde ich einhalten können. Ich wusste absolut und bis ins kleinste Detail wovon ich rede. Optimal.
Der Countdown läuft. Nur noch zwei Präsentationen vor mir. Nur noch etwa 30 Minuten. Mein Herz schlägt. Wäre auch scheiße, wenn nicht. Aber es schlägt schneller und lauter. Ich höre mein Herz in meinen Ohren. Ich höre sonst nichts. Ich kann nicht zuhören. Ich kann mich nicht konzentrieren.
Ich habe das schon so viele Male gemacht. Ich habe damit Geld verdient. Ich weiß, wie es läuft. Außerdem bin ich gut vorbereitet. Warum passiert das jetzt?
Die erste Präsentation neigt sich dem Ende zu. Nur noch etwa 20 Minuten. Jede Faser meines Körpers spannt sich an. Jede. Gut, dass ich nicht viel gegessen habe. Meine Hände liegen auf dem Tisch. Der Tisch rappelt. Sind das meine Beine, die immer gegen den Tisch poltern?
Es ist alles gut. Eine gewohnte Situation. Die Gefahr ist nicht real. Das ist nur in meinem Kopf. Ich weiß doch, dass ich es rocken kann.
Die nächste Präsentation ist im Gange. Nur noch etwa 10 Minuten. Mein Körper zittert. Ich konzentriere mich nur noch darauf, meinen Körper zu verbieten, diese Dinge zu machen. Meine Muskeln führen ein Eigenleben. Ich versteife mich.
Endlich Pause. Danach bin ich mit meiner Präsentation dran. Ich werde an die frische Luft gehen. Mich ein bisschen bewegen. Es sind doch immer nur die ersten Worte. Die Aufregung verfliegt dann. Ist doch immer so gewesen!
Die Schwerkraft ist heute scheiße zu mir und mein Körper hört nicht mehr auf mich. Das Atmen fällt mir schwer. Ich spüre mein Herz in meinem ganzen Körper. Sonst merke ich nichts mehr. Ich bin in einem Tunnel. Nadine nimmt mich unter die Arme und schleppt mich ins Büro.
Ich weiß nicht mehr viel von der Unterhaltung. Aber ich weiß, dass ich zusammengekauert auf dem Stuhl saß und zitterte. Dass mir die Tränen über die Wange liefen.
Verdammte Axt 2000. Ich bin 38 Jahre alt und heule hier hier wie ein kleines Mädchen, dem man den Lolly geklaut hat.
Die Akzeptanz der Angst
Ich befinde mich in einer Lernphase. Ich lerne gerade mit meiner Angst umzugehen. Obwohl ich die genaue Ursache nicht kenne – mir aber sehr wohl vorstellen kann, worin sie ihren Ursprung findet – akzeptiere ich die Logophobie als einen kurzweiligen Begleiter.
Der größte Mut liegt schließlich nicht darin, den Situationen aus dem Weg zu gehen, sondern sich ihnen kontrolliert zu stellen. Und das tue ich. Immer und immer wieder.
In den letzten zwei Wochen habe ich außerdem ein Kommunikationstraining gemacht. Mit überraschenden Ergebnissen. Aber davon erzähle ich euch ein andermal